Eine Schmiedin unterwegs auf der Walz Ein Buch als wertvollster Besitz

Musik von Rammstein ertönt in der Werkstatt, als Meta Högg die Flex ansetzt. Die Metallbauerin in der Fachrichtung Metallgestalter erstellt ein Duplikat einer meterlangen Fahnenstange. Drei Wochen lang arbeitete sie bei Haber & Brandner GmbH in Regensburg, einer Werkstatt für Metallrestaurierung. Die 26-Jährige ist Wandergesellin aus Wernigerode und ist seit zwei Jahren unterwegs – ohne Smartphone und mit wenig Gepäck. "Ohne Handy und Laptop kommt man eher in Kontakt mit Leuten und mit der Umgebung", sagt sie. Nach dem Abitur hat Meta mehrere Praktika gemacht und in Restaurants gearbeitet. "Erst dachte ich an ein duales Studium", sagt sie. Aber beim Praktikum in einer alten Schmiede aus dem Jahr 1678 veränderte sich etwas. "Da wurden Einzelstücke hergestellt, es wurde restauriert und Schmiedekurse für Jugendliche angeboten. Der Beruf hat alles, was ich wollte. Und in einer Werkstatt mit nur drei Leuten ist man ganz schön gesprungen", erklärt sie. Am Ende ihrer Lehrzeit wurde ihr eine Anstellung mit Aufstiegsmöglichkeiten angeboten. "Aber ich wollte noch mehr lernen", sagt sie. Also entschied sie sich gegen eine Anstellung und Studium und ging mitten in der Coronazeit auf Wanderschaft.

 

Sozialer Aspekt gab den Ausschlag

"Ich hatte eine spannende Arbeit im Lehrbetrieb, eine Wohnung und ein Auto. Aber ich war nicht erfüllt", sagt sie. Sie wollte "die Chancen dieser Welt kennenlernen: Spaß haben, Gutes tun und von meiner Arbeit leben können". Auf der Walz ist sie zwar allein, aber nicht einsam. Auf manchen Strecken begleitet Meta ihr Hund. Außerdem ist die Gemeinschaft der Wandergesellen sehr stark. Immerhin sind 500 bis 700 von ihnen im deutschsprachigen Raum unterwegs und sie treffen sich oft. "Da sind Menschen aus allen Schichten dabei – vom Punker bis zum Gutbürgerlichen", sagt sie. Bei einem solchen Treffen hörte sie von einer Reisekameradin, dass Haber & Brandner in Regensburg Restaurierungen machen. Nach dieser Station wird sie andere Gesellen beim Beginn und Ende der Wanderung begleiten. Denn traditionell startet jede Walz in einer Gruppe, die den Gesellen oder die Gesellin in der Bannmeile von 50 Kilometern vom Heimatort begleitet. Bei Haber & Brandner ist Meta erst die zweite Wandergesellin. "Aber man merkt einen gewaltigen Unterschied bei den Menschen auf der Walz: Es ist die Leidenschaft für den Beruf", sagt Geschäftsführer Artur Huber. Das spiegele sich in der Qualität der Arbeit wider. "Und wir hoffen natürlich, dass die Wandergesellinnen zurückkehren", sagt er.

 

Loslassen, lernen und zu sich finden

Meta soll mindestens drei Jahre und einen Tag wandern. "Man sagt auch drei kurze Jahre und einen schrecklich langen Tag, der auch länger als 24 Stunden dauern kann", erklärt Meta. In den ersten drei Monaten gab es eine Kontaktsperre: keine Anrufe oder Nachrichten von und an Familie und Freunde. "Es ist ein Prozess des Loslassens, für beide Seiten", sagt die Schmiedin. Ihr Ohr wurde ans Holz genagelt und ein Ohrring durchgestochen, so will es die Tradition. In der Anfangszeit wurde sie von einem Altgesellen begleitet, der zeigte, wie sie Jobs, Schlafplätze und Trampen organisiert. Denn für die Fortbewegung und Übernachtung dürfen die "Fremden", wie sich Handwerker auf der Walz nennen, kein Geld ausgeben. Meist kommen die Wandergesellen in Gesellenzimmern, Gartenhäuschen, Arbeitshallen oder mit Schlafsack im Wald unter. "Wir brauchen nicht viel, zwei Quadratmeter Platz reichen", sagt sie. Durch ihre Arbeit kam sie bis Rumänien und sogar nach Ecuador, wo sie am Bau eines Bambushauses mitgearbeitet hat. Das Flugticket war die Bezahlung für ihre Arbeit. Ihr Straßenname lautet "Fremde Schmiedin in RVM". RVM steht für "Ring vereinigter Metallgewerke". Ein Drittel der Walz ist der Arbeit gewidmet und ein Drittel sozialen Projekten. Meta baute Spielplätze und lernte in Bärnau, Kalk auf traditionelle Art zu brennen. Sie schmiedete Nägel für Privatleute und stellte Massenware in einer Fabrik her. Gerne arbeitet sie auch in anderen Berufen mit: Zimmerei, Küche und Schneiderei. Zusammen mit anderen gründete sie auch einen neuen Schacht, eine Vereinigung der Wandergesellen. "Das Wanderbuch ist mein wertvollster Besitz", sagt sie und blättert im blauen Buch mit Schmiedeinsignien. Es enthält Stadtsiegel, Arbeitszeugnisse von Kollegen und Vorgesetzten sowie Stempel von Institutionen, die sie besucht hat. Sie selbst darf nicht ins Wanderbuch schreiben. Die Walz und ihr Beruf sind nicht immer einfach. "In der Kluft ist es im Winter zu kalt und im Sommer zu warm", sagt sie. Schmieden sei auch anstrengend. "Manchmal werde ich unterschätzt und bevormundet, auch wenn die Kollegen es sicher nett meinen, wenn sie mir helfen wollen. Aber ich kann es auch allein", sagt die 26-Jährige. Hebel und Maschinen helfen, den Körper vor großen Belastungen zu schützen. "Es ist kein Beruf, den man als Frau nicht machen kann", ist sie überzeugt.

 

Viele Pläne für das letzte Jahr

Später überlegt sie ihren Meister zu machen oder zu studieren. "Ich will in der Planung und in der Geschäftsführung mitarbeiten", sagt sie. Spannend findet sie aber auch die Arbeit mit Jugendlichen. "Da macht es Spaß, auch einfache Sachen herzustellen, weil man den anderen etwas Neues zeigen kann", sagt sie. Es sei wichtig, in Schulen auch solche Berufe und das Handwerk zu zeigen. "Ich hätte gern Werkunterricht in der Schule gehabt", sagt Meta. Während der Walz möchte sie noch nach Basel, dann auf einem Segelschiff anheuern und weitere soziale Projekte begleiten. Das letzte Jahr scheint zu kurz für die vielen Möglichkeiten. "Nirgendwo verpasst man so viel wie auf Wanderschaft", sagt sie. Neben der Arbeitserfahrung soll die Walz auch der Selbstfindung dienen. "Ich will viele Abenteuer und Orte mitnehmen und verschiedene Lebensweisen kennenlernen", sagt Meta. Damit für sie klar wird: "Was will ich selbst, wie will ich leben?"

 

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Ein Artikel aus der Deutschen Handwerks Zeitung vom 23. Juni 2023